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Böser Westen, guter Westen

Henning Rasche

Während in den neuen Bundesländern inzwischen schon vergoldete Mülleimer stehen, bröckelt im Ruhrgebiet nur noch der Putz von den Wänden. Richtig? Nein, natürlich nicht. Eine solche These ist genauso populistisch verkürzt wie die Behauptung, im Westen sei es grundsätzlich besser. Die durch die Selbstauflösung des nordrhein-westfälischen Landtags entbrannte Debatte über den Solidarpakt II ist geprägt von Unzutrefflichkeiten, Opportunismus und - natürlich - einer ganz gehörigen Portion Populismus. Ein paar Oberbürgermeister von Metropolen im Ruhrgebiet, seien es Gelsenkirchen, Dortmund oder Oberhausen, fragten sich laut, wieso ausgerechnet ihre Städte, die zu den ärmsten in Deutschland zählen - Oberhausen ist die höchstverschuldete Stadt der Republik - noch weiterhin bis 2019 in den Solidarpakt einbezahlen sollten. Eine Frage, die ganz offenkundig nicht das Ende jeglicher Solidarität bedeutet. Eine Frage aber, die völlig zurecht gestellt werden muss. Die Solidarität ist tot, lang lebe die Solidarität. 
 
Eine Reise ins wunderschöne Ruhrgebiet lohnt sich. Die Leute sind hier ehrlich, wen sie nicht leiden können, der bekommt das nicht zu spüren durch herabwürdigende Blicke, sondern durch einen entwaffnend ehrlichen Satz. Abneigung ist aber nicht das bestimmende Gefühl im Pott. Es ist vielmehr eines der gegenseitigen Zuneigung, von Gemeinschaft. Klar, die Geschichte von der ewigen Bruderschaft und "wir haben uns alle lieb", sie ist unehrlich. Ganz und gar nicht wie das Ruhrgebiet, also. Städte wie Duisburg, Oberhausen, Essen, Dortmund und Gelsenkirchen sind sicherlich vieles, aber nicht schön. Sie leben von Atmosphäre, vom Charme vergangener Tage und der Entwicklung, die ihnen vielleicht noch ein wenig bevorsteht. Hier bröckelt tatsächlich der Putz von den Wänden, Theater bangen um ihre Existenz, Schwimmbäder wurden geschlossen - es wird gespart, was ebenso geht. Wenn wir in Griechenland lernen, dass durch bloßes Sparen kein Aufbau, keine Erneuerung gestartet werden kann, dann hätten wir das schon längst im Ruhrpott erleben können. Peinlich, eigentlich.

Nun verlangt der Solidarpakt II auch den Kommunen im Ruhrgebiet eine enorme finanzielle Leistung ab. Es ist so gekommen, dass die Rathäuser Kredite aufnehmen  müssen, um ihrer Zahlungspflicht noch nachkommen zu können. Dass das wenig sinnvoll ist, sollte auch sozialdemokratischen Ministerpräsidenten in Brandenburg oder christdemokratischen Bürgermeistern in anderen neuen Bundesländern klar sein. Wer das aber so deutlich sagt, bekommt direkt zu hören, dass man die Solidarität aufkündigen wolle, dass der arrogante Westen den popeligen Osten wieder abschieben lassen will, verrotten, an der ausgestreckten Hand. Was für ein Quatsch. Niemand würde bestreiten wollen, dass es im Osten genau solche Kommunen gibt, wie im Ruhrgebiet. Dass dort auch der Putz von den Wänden bröckelt, Theater oder Schwimmbäder schließen müssen. Wer zum Teufel bestreitet das? Die Frage aber, die dahinter steckt, ist eine andere. Und es ist genau die Frage, die die Oberbürgermeister aus dem Pott stellten: Wie sinnvoll ist es, dass sich klamme Kommunen im Westen für klamme Kommunen im Osten noch weiter verschulden? 

Der Autor dieser Zeilen hat sicherlich gut reden. Er wurde nach der Wende geboren, kennt nur ein vereintes Deutschland. Doch Zeiten ändern sich. Wir stecken nicht mehr in der Hochphase Aufbau Ost. Die Wiedervereinigung ist über 20 Jahre her. Wer eine Gerechtigkeit und Gleichheit in den Lebensverhältnissen unter den Bürgern der Bundesrepublik erzeugen will, der muss sich anderes einfallen lassen, als einen Geldfluss von West nach Ost. Warum zum Beispiel zahlen nicht finanzstarke Kommunen aus ganz Deutschland in einen Topf ein, aus dem völlig hoch verschuldete Städte und Gemeinden dann Zuschüsse erhalten? Der Solidarpakt II ist einem Kind der Einheit nicht mehr vermittelbar. Solidarität muss der Starke mit dem Schwachen zeigen. Und nicht der Schwächste mit dem Schwächeren.   

 

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